Neue Health-App soll den KI-Doktor geben: Verhebt sich Apple wieder beim großen Wurf?
Apples Health-Features waren lange ein Aushängeschild des Unternehmens: Funktionen wie die EKG-Funktion der Apple Watch brachten dem Unternehmen viel Ansehen ein und noch immer gilt Apples Smartwatch bei vielen Ärzten als das einzige nicht medizintechnische Spezialzubehör, dessen Daten halbwegs ernst zu nehmen sind.
Doch in den vergangenen Jahren geriet der Fortschritt ins Stocken. Bedeutende Neuerungen blieben hardwareseitig aus, nicht zuletzt, weil Apples Health-Team sich lange in desolatem personellen Zustand befunden haben soll: Interne Querelen und riesige Probleme bei den gesetzten Zielen sollen maßgeblich verantwortlich dafür sein, dass Apple lange nur Software- und Dienste-bezogene Neuerungen wie Fitness+ oder erweiterte Auswertungsmodi für Trainingsdaten präsentieren konnte. Sie kommen bei den Kunden sehr unterschiedlich an.
Kommt 2026 der große Wurf?
Lange in der Entwicklung, dennoch wohl noch immer recht weit von der Marktreife entfernt: substanzielle neue sensorgestützte Diagnostikmöglichkeiten. Die nicht-invasive Blutzucker-Messung und die Blutdrucküberwachung gelten als zwei von vielen Nutzern sehnlichst erwartete neue Health-Features für die Apple Watch, die aber wohl beide nicht so rasch kommen werden. Zu hoch sollen die entwicklungstechnischen Hürden sein, heißt es aus gut unterrichteten Kreisen.
Immerhin, beim Blutdruck-Monitoring ist offenbar ein Teilziel in Reichweite: Nutzer können wohl in Bälde auf eine Alarmierung bei extremen Ausschlägen hoffen.
KI soll es rausreißen
Ob dieser wenig erbaulichen Perspektive an der Hardwarefront hat sich Apple offenbar entschieden, den bisher verfolgten Ansatz fortzuführen und mit neuen Services zu kompensieren, was man an echter Innovation nicht liefern kann.
Eine komplett neue Health-App soll Nutzern eine deutlich aufgebohrte Gesundheitsübersicht geben. Die Health-App soll sich von der reinen Datensammlung mit einigen rudimentären Trend-Indikatoren, die sie jetzt ist, zu einem persönlichen Gesundheitsberater entwickeln, sagt Mark Gurman von Bloomberg, der über hervorragende Kontakte zu Apples Entwicklungsteams verfügt und mit seinen Prognosen und Ausblicken zumeist sehr nah an den tatsächlichen späteren Spezifikationen neuer Produkte liegt.
Diese neue Health-App, die derzeit unter dem Codenamen Mulberry entwickelt wird, soll bereits mit iOS 19.4 auf die iPhones kommen. Natürlich soll nun auch hier KI einspringen und dabei helfen, Empfehlungen zu geben und Schlussfolgerungen zu ziehen.
iPhone statt Hausarzt?
Eine Art synthetischen Hausarzt stelle sich Apple vor, so Gurman. Die neue Health-App soll in der Art eines KI-Agenten Empfehlungen zu Ernährung, Schlaf und Bewegung geben. Agenten sind aktuell das nächste große Highlight der KI-Entwicklung. Gemeint sind Systeme, in denen mehrere spezialisierte KI-Modelle zwar unabhängig arbeiten, sich dabei aber untereinander austauschen und Daten miteinander teilen, um ein spezifisches Ziel zu erreichen.
Apples Health-Agent soll dem Vernehmen nach erfassen, was der Kunde zu sich nimmt, aber auch per Kamera seine Trainings beobachten, um Empfehlungen zur Verbesserung zu machen. Auch soll mehr Videofutter in die Health-App, die den Nutzer verschiedene Gesundheitsthemen näher bringen. Diese Filmchen sollen unter Mitwirkung externer Ärzte aus verschiedenen Fachbereichen erstellt werden. Apple plant demnach unter anderem Schlafexperten, Ernährungswissenschaftler, Physiotherapeuten, Experten für psychische Gesundheit und Kardiologen anzuheuern.
Große Ziele – vielleicht zu groß?
Abgesehen von der eher ernüchternden Erkenntnis, dass Apple offenbar noch immer weit davon entfernt ist, ein ähnlich geniales und von Experten respektiertes Sensorik-Feature wie die EKG-Funktion marktreif zu bekommen. Man mag den praktischen Mehrwert und Zugewinn an Lebensqualität allein durch eine Smartwatch-basierte Zuckermessung ohne Nadel gar nicht überschätzen. Es stellt sich lediglich die Frage der Realisierbarkeit des Vorhabens.
Ohne Zweifel sind KI-Modelle sehr gut darin, aus Rohdaten Schlüsse zu ziehen. Die Apple Watch nimmt mit ihren bestehenden Sensoren, vorwiegend für Pulsmessung und die Aufzeichnung von Bewegungsdaten, schon viele Informationen auf, aus denen sich mitunter Erstaunliches ableiten lässt. Man muss sich indes fragen, ob Apple fähig ist, einen solchen KI-Doktor zu kreieren.
Apple hat noch einige Schritte zu gehen
Apples KI-Suite Apple Intelligence und seine Assistentin Siri versinken erwiesenermaßen in einem abgrundtiefen Sumpf verfehlter Erwartungen und gebrochener Versprechen. Während Nutzern auf der WWDC 2024 und in Werbung auf YouTube und den eigenen Websites ein Entwicklungsstand neuer, KI-getriebener personalisierter Assistenzfunktionen präsentiert wurde, den es faktisch nicht gab, liegt man in der Realität noch einige Meilensteine weit zurück.
Die neue Siri ist frühestens 2026 annähernd in einem Zustand, der einen breiten Launch erlaubt. Ein eigenes großes multi-modales Sprachmodell besitzt Apple überhaupt noch nicht. Das wird durch eine Anbindung an ChatGPT in Teilen kompensiert, die für ein so sensibles Thema wie persönliche Gesundheitsdaten aber kaum eine Option ist.
Nicht nur Apple kommt schleppend voran
Und während Apple noch vollauf damit beschäftigt ist, die KI-Grundlagen zu meistern, kommen selbst die Branchengrößen und Marktführer wie OpenAI, Google oder Meta mit dem Agenten-Ansatz nur in kleinen, mühsamen Schritten voran. Und auch wenn der potenzielle Nutzen im Alltag umwälzende Veränderungen und für viele Menschen fraglos deutliche Erleichterungen bringen kann, ist schon jetzt absehbar, dass es noch lange dauern wird, bis diese KI-Spielart ihren großen Durchbruch erlebt.
Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, ob Apple mit seiner KI-basierten Neu-Interpretation der Health-App tatsächlich zu dem angestrebten großen Wurf ansetzen kann.